Die Kanonen müssen noch ruhen

Wegen Corona kann die historische Gesellschaft Alte Garde Oberberg seit über einem Jahr nicht mehr auftreten.

Michel Burtscher

Im zivilen Leben sind sie Lastwagenverkäufer, Handwerker, Lehrer, Kadermitarbeiter oder geniessen den Ruhestand. Doch einige Male im Jahr verwandeln sich die Mitglieder der historischen Gesellschaft Alte Garde Oberberg in Soldaten. Dann setzen sie weisse Perücken auf und schlüpfen in ihre Uniformen. Nachbildungen der Uniformen des königlichen Schweizer Garderegimentes, das 1792 während der Französischen Revolution im Tuileriensturm in Paris aufgerieben wurde. Nicht fehlen dürfen natürlich Trompeten, Trommel und Kanonen. Doch diese sind schon seit einiger Zeit still. Der Verein wurde wegen Corona seit über einem Jahr nicht mehr gebucht. Normalerweise treten die Gardisten an Anlässen wie Hochzeiten oder Empfängen auf. Alles abgesagt. Oder in kleinem Rahmen durchgeführt. Sehr schade, sagt Vereinspräsident Patrik Forster bei einem Treffen auf Schloss Oberberg, von dem die Garde ihren Namen hat. Nicht nur, weil die Anlässe die Haupteinnahmequelle des Vereins sind. «Uns fehlt das kameradschaftliche Zusammensein.»

Schweizer sein und einen guten Leumund haben

Zwölf Aktive zählt der Verein, nicht mehr, nicht weniger – so die Vereinsregel. Alle Mitglieder haben einen Bezug zu Gossau, sind zwischen 40 und 70 Jahre alt und «Schweizer Bürger mit gutem Leumund». Die Garde ist einzigartig in der Schweiz. Keine andere feuert die Salutschüsse nach einer fürstäbtischen Schiessordnung aus dem 17. Jahrhundert ab und verfasst eigens Urkunden in Althochdeutsch, auf Pergamentpapier mit Siegel und handgefertigten Buchstaben. Mit ihren Auftritten wollen sie daran erinnern, dass Gossauer Männer früher in der Miliz des Fürstabtes von St.Gallen sowie in Schweizer Regimentern in fremden Ländern Dienst geleistet haben.

Der Verein geht zurück auf die Umzugsgruppe «Miliz von Oberberg», die anlässlich der Einweihung der Fürstenlandbrücke 1941 gegründet wurde. Vor rund 60 Jahren entstand daraus die Alte Garde. Ein ehemaliger Kommandant sagte einmal: «Anfänglich waren wir ein wilder Haufen und wurden als Saufbrüder von den meisten belächelt. » Der Ruf des Vereins sei schlecht gewesen. Das ist heute anders. Der Wandel begann in den 1970er-Jahren. Alkoholexzesse wurden nicht mehr geduldet, eine gute Organisation brachte Ordnung in den Verein.

Früher, vor 30 oder 40 Jahren, sei die Garde noch etwa 15- mal pro Jahr aufgetreten, erinnert sich der heutige Kommandant Erwin Schmid. Der 67-Jährige gehört dem Verein seit 1972 an. Auf Schloss Oberberg empfingen die Gardisten wiederholt Regierungen aus anderen Kantonen, hohe Offiziere oder ausländische Wirtschaftsdelegationen. So habe etwa die Bühler AG ausländische Gäste immer gerne dorthin eingeladen und sie mit Kanonenschüssen begrüsst. Auch die Universität St.Gallen hat Studierende aus Asien mit Auftritten der Alten Garde überrascht.

Heute stehen – wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht – noch drei bis fünf Auftritte pro Jahr auf dem Programm. «Es ist eine andere Zeit», sagt Forster. Die Dienste der Gardisten sind nicht mehr so gefragt. Trotzdem sind sie noch immer mit Leidenschaft am Werk. Er habe die Garde als Kind mehrmals live erlebt und sei fasziniert von ihr gewesen, sagt Peter Bösch, der vor sieben Jahren Mitglied wurde. Ihm gefalle die Kombination aus Historischem und Gesellschaftlichem. «Es ist immer wieder schön, wenn wir den Leuten mit unseren Auftritten eine Freude machen können.»

Die vier Geschütze, die sie benutzen, sind Rekonstruktionen eines Originals von 1513, das im Landesmuseum Zürich steht. Es wird zwar scharf geschossen, mit Schwarzpulver. Aber ohne Kugel. «Trotzdem ist es nicht ganz ungefährlich», sagt Kommandant Schmid. Der Ablauf ist klar vorgegeben. Erst wird eine Salve mit drei Schüssen abgefeuert, dann eine mit vier. Eine gerade Anzahl von Schüssen bringt Unglück. Eine Regel aus dem Mittelalter, so Schmid. Gerade bei Hochzeiten kann man das nicht gebrauchen.

Eine Coronaflaute und ein Führungswechsel

Forster geht davon aus, dass die Coronaflaute auch 2021 anhält. Die ersten Absagen sind da. So hätte der Verein bei der Feier zur Wahl der Stadträtin Claudia Martin zur Präsidentin des Kantonsrats oder am 600-Jahr-Jubiläum der Stadtschützen Wil auftreten sollen. Die Anlässe fänden nun in kleinem Rahmen statt, so Forster. Ohne Gardisten. Zwei Hochzeiten stehen noch auf dem Programm – ob sie stattfinden, ist unklar.

Klar ist, dass es im Juni an der Spitze der Garde zu einem Wechsel kommt. Forster tritt nach 20 Jahren als Präsident zurück. Für ihn übernimmt der 48-jährige Bösch. Er muss nur noch gewählt werden. Sein Ziel sei es, dass der Verein in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werde und dieser nach der Pandemie wieder mehr Auftritte erhalte. Sonst wolle er nichts ändern, sagt Bösch. «Einen historischen Verein muss man nicht umkrempeln.»

https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/gossau-uns-fehlt-das-zusammensein-seit-jahrzehnten-tritt-die-alte-garde-oberberg-auf-doch-derzeit-muessen-die-kanonen-ruhen-ld.2133450

Die Kanonen müssen noch ruhen